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Hans-Dieter Gerber schrieb seine Erinnerungen an das Kriegsende 1945 in dem Buch „Grenzfluß Mulde“, das von Adolf Böhm herausgegeben wurde und im Sax-Verlag erschien.


Das Haus Altoschatzer Straße 31, direkt hinter dem ehemaligen Stadttor gelegen, ist seit 1840 nachweislich im Besitz unserer Familie. Im Jahre 1945 gehörte es meinem Großvater, Sattlermeister Bruno Kettner. Wegen seiner mehrstöckigen Keller war es wie eine Fluchtburg für die gesamte Familie. Für mich als Schulkind dieser Zeit hatten die Keller und Böden, die nahe Promenade mit dem damals noch vorhandenen Springbrunnen auf dem Spielplatz eine besondere Anziehungskraft, In dieser Umgebung habe ich das Ende des 2. Weltkrieges erlebt. Nachfolgend einige Begebenheiten aus dieser Zeit.

Panzersperren
Schulunterricht hatten wir seit März 1945 nur noch in Speiseräumen von Betrieben oder in größeren Geschäftsräumen, wie in der Hausschuhfabrik, dem Elektrizitätswerk oder bei Möbel-Schöne in der Bahnhofstraße, weil unsere schöne große Schule in der Bahnhofstraße bis unter das Dach mit Flüchtlingen belegt war. Von unseren neuen Mitschülern, den Flüchtlingskindern , erfuhren wir, dass sie aus Städten deutscher Ostgebiete kamen, die als Festung erklärt waren. Ehrfurchtsvoll erzählten sie uns von Ari-Beschuss und Panzersperren, Begriffe, mit denen wir bisher noch nicht konfrontiert waren,
Um den 19. April holten auch Oschatz die Verteidigungsvorbereitungen ein. Die Freiwillige Feuerwehr wurde mit ihrem Gerät außerhalb der Stadt in Collm stationiert. Alle rüstigen Männer, der Volkssturm und Schüler der oberen Klassen wurden zum Schanzen und Bau von Panzersperren eingesetzt. In der Promenade, in Höhe der Altoschatzer Straße, mussten Berufsschüler zwischen Spielplatz und Springbrunnen am alten Wachtturm etwa 25 Schützenlöcher und Schützenmulden mit Zielrichtung Miltitzplatz anlegen. Einige Tage zuvor hatten Berufsschüler ein mehrere hundert Meter langes Schützengrabensystem zwischen der Wermsdorfer Straße und dem Langen Rain in Höhe der heutigen meteorologischen Station mit Spaten und Schaufel ausgehoben.
Hauptbefestigungen dieses Verteidigungssystems stellten mehrere Panzersperren in der Miltitzstraße, Reithausstraße, Breiten Straße und Altoschatzer Straße zwischen der Fronfeste, dem heutigen Museum, und dem Kettnerschen Haus dar. Dazu wurden rund 4 m lange Kiefernstämme senkrecht zweireihig quer über die Straße bis auf eine etwa 2,5 m breite Durchfahrt eingegraben. Den Zwischenraum füllte man mit Bruchsteinen – aus der mittelalterlichen Stadtmauer gewonnen – und Erde aus.
Am 20. April wurde auch die verbliebene schmale Durchfahrt mit Baumstämmen verschlossen und auf der Innenseite der Sperre zusätzlich ein Möbelwagen der Oschatzer Spedition Hofmann quergestellt. Wer nun in die Innenstadt wollte, musste durch die noch offene Rosmarinstraße gehen. Viele Kunden und Bekannte nutzten allerdings den viel kürzeren Weg durch unseren Hof und Laden.
Meinem Großvater war die Panzersperre an seinem Haus natürlich ein Dorn im Auge. Er hatte Angst, dass sein Haus bei einem Angriff auf die Sperre Schaden nehmen würde. Am 23. April sprach er deshalb mit Gleichgesinnten beim Landrat bezüglich des Öffnens der Sperre vor. Das Ansinnen wurde natürlich abgelehnt.
Am 24. April, ich erinnere mich so genau, weil mein Bruder an diesem Tage Geburtstag hatte, wurde die Lage kritisch. Gegen 8.00 Uhr kam der Evakuierungsbefehl für alle Frauen und Kinder von Oschatz. Aber wohin flüchten? Die Front näherte sich ja von der Elbe im Osten und der Mulde im Westen. Als mögliche Fluchtziele nannte man uns die Gegenden um Stauchitz/Hof oder Mügeln. Bis Mittag stand nun unsere Mutter mit uns vier Kindern, mit dem Handwagen und einigen Habseligkeiten vor der Haustür, ohne einen Schritt vorwärts zu kommen. Die Organisation der Evakuierung war offensichtlich zusammengebrochen.
Am 25. und 26. April griffen mehrere Tiefflieger die Stadt an. Dabei wurden gleichzeitig Flugblätter mit abgeworfen, die zur Kapitulation und zum Öffnen der Panzersperren aufriefen. Am

 

Abend des 26. April begann dann mein Großvater mit anderen älteren Männern die Sperre zu öffnen.

Amerikaner in Oschatz

Am Freitag, den 27. April, zwischen 13.00 und 14.00 Uhr kamen zwei Jeeps der US-Army aus Richtung Wermsdorf, durchfuhren nach kurzen Sicherungsaufenthalten an jeder Kreuzung die kurz vorher geöffneten Panzersperren und nahmen die Stadt kampflos ein. Über das noch bestehende System der Luftschutzwarte wurde daraufhin die Bevölkerung aufgerufen, sofort alle Waffen auf dem Neumarkt abzuliefern. Zu Kampfhandlungen ist es dabei in Oschatz nicht gekommen.

Plünderungen
Mit der Flucht der Wachmannschaften der Kriegsgefangenenlager in der alten Spinnerei am Südbahnhof und in der ehemaligen Waagenfabrik von Bielig in der Riesaer Straße waren auch die Kriegsgefangenen aus Serbien, Polen, Frankreich und anderen Ländern frei. Sie zogen in mehreren Wellen durch die Stadt, um sich für ihre Heimreise einzukleiden und sich mit Reiseproviant zu versorgen. Mehrere Haustüren mussten bei dieser Aktion daran glauben, und Gerüchten zufolge soll mindestens ein Oschatzer dabei zu Tode gekommen sein.
Die große Plünderung habe ich allerdings am Sonnabend, den 28. April erlebt. Bereits seit dem Freitag gingen Gerüchte um, dass die zwei Speicher des Heerersproviantamtes am Bahnhof geplündert würden. Am Sonnabend machte machte sich mein Großvater mit mir auf den Weg zu den Speichern, denn unsere Großfamilie von zehn Personen hatte auch Lebensmittelreserven für unsichere Zeiten nötig. Mit uns strömten aber bereits Hunderte von Menschen in Richtung Güterbahnhof. Den ersten Vorgeschmack auf die Situation an den Speichern erhielten wir an der Eisenbahnbrücke, als man den ersten Toten brachte. Eine aus den oberen Stockwerken des Speichers geworfene Kiste hatte ihn tödlich getroffen.
Einer unserer Hausbewohner erlitt kurze Zeit später nach ähnlicher Situation „nur“ ein Kopfplatzwunde. An und in den Speichern waren teusende Menschen, die bis Sonntag früh jede Ecke in diesem riesigen Magazin ausräumten. Vom Trockenkäse bis zu Seifenflocken war alles zu haben. Am Vortage hatte man sogar wagenrädergroße Käse „vom Bahnhof gerollt“. Es herrschte das Gesetz der Stärke, jeder gegen jeden. Der Kampf um Lebensmittel war grausam. Am Sonntag, dem 29. April, gingen wir nachmittags noch einmal an den Speichern vorbei, es war alles wie leergefegt, selbst für Mäuse gab es nichts mehr

Die Suche nach dem Stadtschatz
Am 5. Mai wurde die Stadt Oschatz von den Russen besetzt. Im Zuge der sogenannten Prager Operation rollten seit dem 4. Mai Tag und Nacht russische Truppen mit Panzern, Kraftfahrzeugen und Pferdewagen aus dem Raum Torgau kommend nach Süden in Richtung Leisnig und Döbeln. In Oschatz wurde eine Kommandantur eingerichtet, die jetzt die Geschäfte der Stadtverwaltung übernahm
An einem sonnigen Vormittag zu Ende Juni 1945 entstand in den Anlagen der Promenade an der Altoschatzer Straße ein ziemlicher Menschenauflauf. Etwa zehn ältere Männer, darunter der Gärtnermeister Paul Berge aus der Promenade 23, sollten unter der Aufsicht von Hilfspolizisten mit weißer Armbinde den Stadtschatz suchen.
Am Promenadenweg zwischen Sperlingsberg und Altoschatzer Straße befand sich ein als Steingarten angelegter Erdhügel mit rund 4 m Durchmesser und 0,75 m Höhe. Er war mit Wackersteinen belegt uns Stauden bepflanzt. Irgendwer hatte den Russen weisgemacht, dass darunter der Stadtschatz vergraben sei. Das Grabekommando musste den Hügel abgragen und tiefer in Richtung Stadttor schachten. Am Fußweg Altoschatzer Straße stieß man in etwa 3 m Tiefe auf Mauerreste und einen hölzernen Türrahmen, der nach heutigem Kenntnisstand zu einer Tür vom Zwinger des Altoschatzer Tores in den Stadtgraben gehörte. Did Schatzsuche erwies sich als Flop.

 


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