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Am 24. Oktober 1915 erschien in der österreichischen Tageszeitung „Neues Wiener Journal“ folgender Artikel:


eingereicht von Grit Jähn, Oschatz
 

Der Erste Bürgermeister von Oschatz, Dr. Konrad Sieblist, schrieb dazu bereits am 31. August 1915 in sein Tagebuch:

Großes Aufsehen nicht nur in ganz Sachsen, sondern auch außerhalb der weiß-grünen Grenzpfähle hat der Beschluß unserer städtischen Kollegien gemacht, in die neue städtische Steuerordnung, die jetzt beraten wurde, eine „Unverheiratetensteuer“ aufzunehmen.

Von allen unverheirateten – also Männer und Frauen, Ledige, Geschiedene u. Verwitweten, Steuerpflichtigen über 30 Jahre wird ein Steuerzuschlag erhoben, welcher beträgt:


Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf

1.

alle ledigen Personen, welche aus gesetzlichen Gründen anderen Personen Unterhalt gewähren müssen (§§ 1601 bis 1615 des bürgerlichen Gesetzbuchs), wenn ihr steuerpflichtiges Einkommen weniger als 4000 M. beträgt und wenn der Unterhalt zugleich mehr als 10 Prozent des Einkommens erfordert,

2.

auf verwitwete oder geschiedene Personen deren steuerpflichtiges Einkommen den Betrag von 6300 M nicht übersteigt,“

3.

auf verwitwete oder geschiedene Personen, deren steuerpflichtiges Einkommen den Betrag von 6300 M. übersteigt, wenn sie aus gesetzlichen Gründen anderen Personen Unterhalt gewähren müssen u. dafür mehr als 20 Prozent ihres steuerpflichtigen Einkommens aufwenden müssen,

4.

auf alle verwitweten oder geschiedenen Personen ohne Unterschied des Einkommens, wenn sie beim Ableben des Ehegatten oder bei der Scheidung das 55. Lebensjahr überschritten haben.

Städte und Gemeinden in ganz Deutschland, die von dieser neuen Steuerart hörten, haben sich daraufhin den Entwurf unseres Stadtrates kommen lassen. So trafen nach einander Anfragen ein aus Berlin, Zella-Mehlis, Sankt Blasien, Zschopau, Danzig, Falkenburg, Guben, Bautzen, Tempelhof, Dresden, Hettstedt, Breitenbrunn, Riesa. Die Stadt Bautzen will schon die Unverheiratentensteuer nach Oschatzer Muster einführen und ist schon in der Beratung begriffen. Ein Bonner Student will seine Doktorarbeit über diese Steuer fertigen. Junggesellen aus Danzig, Hannover, Lübeck bitten den Stadtrat – allerdings vergeblich – um ein Verzeichnis derjenigen Jungfrauen, die recht viel Unverheiratentensteuer bezahlen müßten, um sie durch Heirat davon zu befreien. In einem rheinischen Blatt findet sich folgendes „Gedicht“:

Von Zeit zu Zeit erscholl die Kunde:
daß man nicht mehr die Rechnung stunde
der Junggesellen frei und leicht…
Nun hat Oschatz das Ziel erreicht.

Des Magistrats gesetzte Männer
und – zweifelsohne – Ehestandskenner
verkündeten vom Neid beschwert:
Die Freiheit sei `nen Batzen wert.

Gewiß! Doch ohne viel zu wagen,
muß ich es mit Bedauern sagen:
Mir scheint die gute Stadt Oschatz
für so was nicht der rechte Platz.

Warum? Bedenkt den schönen Namen
der fällt doch gänzlich aus dem Rahmen,
weil nun ein kluger Jüngling spricht:
„Nach Oschatz, o Schatz, gehn wir nicht.“

Denn Sparsamkeit ist heute Pflicht
und Liebessteuern zahln wir nicht.

Der Frankfurter Dialektdichter Adolf Stoltze schreibt in einer Plauderei der „Kleinen Presse“:

Oschatz ist gar ein schönes Wort,
Nur macht’s den Weibern Pein,
Denn keine will in Oschatz dort
Noch länger Jungfer sein.

Gibt sie dem Manne einen Schmatz
Ruft sie ganz sicherlich:
„Mach mich doch steuerfrei, o Schatz!
Und heirate mich!“

Auch im feindlichen Ausland beschäftigen sich die Zeitungen mit unserer Unverheiratetensteuer, so z. B. belgische Blätter und eine der letzen Nummern der „Daily Mail“. Neuerdings wird in großen sächsischen Blättern ernsthaft der Vorschlag gemacht, die Unverheiratetensteuer als Zuschlag zur Staatssteuer zu erheben, womit diese Steuer, da die Gemeindesteuer in Sachsen künftig allgemein nach Prozenten der Staatssteuern erhoben werden, gleichzeitig in allen sächsischen Kommunen ohne Ausnahme eingeführt sein würde.“

Quelle: Stadtarchiv Oschatz, transkripiert von Wolfgang Michael


Selbst im „Der Deutsche Correspondent“, Baltimore, MD, USA wurde am 06.02.1916 über den Beschluss der Oschatzer Stadträte berichtet:

Steuer auf Ledige
Die erste Unverheiratetensteuer ist jetzt Wirklichkeit geworden. Der Rath der sächsischen Stadt Oschatz hatte sie derart beschlossen, daß nur dem männlichen Hagestolzen für sein Alleinsein auf des Lebens Flur ein besonderer Obolus für den Stadtsäckel abverlangt werden sollte: nunmehr wurde der erste Entwurf auch auf das Fräulein, das vergeblich auf den Freier gewartet hat, ausgedehnt. Also hat der Leipziger Kreisausschuß beschlossen. Nach mancherlei Wenn und Aber zwar die sich auf die gewiß vorhandenen Härten einer solchen Steuer bezogen, und die es schließlich auch bewirkten, daß die Steuer nur auf Widerruf genehmigt wurde. Man dachte da z. B. an solche Unverheirathete, die einen eigenen und manchmal nicht billigen Haushalt führen, und ein galanter Regierungsrath widmete ein besonders bemittleidendes Wort den Mädchen; bei diesen bestehe doch in den allermeisten Fällen die Absicht, sich zu verheirathen, und wenn ihnen dies nicht gelinge, dürfe man sie deswegen doch nicht höher besteuern. Aber das half nichts. Die einzigen, die auch fürderhin steuerfrei bleiben, sind die katholischen Geistlichen. Die Übrigen aber, Männlein wie Weiblein, soweit sie der goldene Reif am Ringfinger nicht drückt, müssen sich einen Zuschlag zur Gemeinde-Einkommensteuer gefallen lassen, der bei einem Einkommen von 1800 bis 2400 Mark fünf Prozent, von 4000 bis 6300 Mark 15 Prozent, von 6300 bis 10.000 Mark 20 Prozent und bei einem Einkommen über 10.000 Mark 25 Prozent beträgt. So will es der Rath der Stadt Oschatz, die neue Steuerquellen braucht. Auf daß man nun aber nicht allzuviele Stadtväter im Deutschen Reich ebenfalls nach dieser Wünschelrute greifen, teilte der Oberbürgermeister von Leipzig mit, daß nach seiner wohlüberlegten Ansicht die Einführung einer Unverheiratetensteuer in größeren Städten unmöglich sei.

Quelle: chroniclingamerica.loc.gov


So ganz neu war die Idee von dieser Steuerart allerdings nicht:

Schon im Jahre 403 v. Chr. hatte nämlich Roms Censor Marcus Furius Camillus die Junggesellensteuer (aes uxorium) erfunden.
Unter Kurfürst Friedrich III. führte Preußen Ende des 17. Jahrhunderts neben der Kaffee-, Tee-, Kakao-, Perücken-, Hut-, Strumpf- und Kutschensteuer auch die „Jungfernsteuer“ ein. Künftig hatte jede unverheiratete Frau - ungeachtet der "unverletzten Keuschheit" (wie es bei Grimm heißt) - im Vierteljahr sechs Groschen zu zahlen. Bis 1869 soll das in Preußen Brauch gewesen sein.
Und am 22. November 1911 hatte jeder unverheiratete Mann von 30 und mehr Jahren in Mecklenburg eine solche Steuer zu zahlen.

Quelle: welt.de

 


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