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Im Rundblick JAHRBUCH 1973 erschien auf Seite 67 folgender interessanter
Beitrag von A. Herrmann nach Unterlagen von J. Thomas, Riesa.


Es liegt nun schon etwas über 70 Jahre zurück, als kurz vor der Jahrhundertwende verschiedene Varianten darüber entwickelt wurden, die Stadt Leipzig an das bestehende Kanal- und Flußnetz der Gründerjahre anzuschließen. Vier Projekte lagen vor, die die natürlichen Gegebenheiten berücksichtigen und Anschlüsse an die Elbe bei Aken (80 km), Wittenberg (65 km), Torgau (55 km) oder Riesa (67 km) ins Auge fassten. Obwohl der Höhenunterschied der Wasserscheide zwischen Leipzig und Riesa am höchsten war, wurde diesem Entwurf die meiste Aufmerksamkeit gewidmet.
Es will uns heute nicht mehr recht einleuchten, dass erhebliche Schwierigkeiten in Kauf genommen werden sollten, nur um eine Bedingung zu berücksichtigen: dieser Kanal von Leipzig nach Riesa sollte vollständig auf dem Territorium des Königreiches Sachsen liegen, um Komplikationen mit anderen „Ländern“ auszuschließen! Wenn wir bedenken, dass dieses Projekt fast dreißig Jahre nach der Bismarckschen Reichsgründung von 1871 entstand, so wird durch dieses Vorhaben sichtbar, wie es um die „Reichseinheit von oben“ bestellt war. Trotz der auf den Landkarten sichtbaren Einheit des Deutschen Reiches trieb der Partikularismus die schönsten Blüten.
Sicher hat auch noch ein zweiter Gesichtspunkt Bedeutung gehabt: Sachsen hatte traditionell gute Beziehungen zu Österreich, das damals Böhmen noch beherrschte. Der Wasserweg nach Prag wäre von Leipzig über Riesa wesentlich kürzer gewesen als beispielsweise über Aken.
Welcher Verlauf war für den Kanal vorgesehen? Im ganzen waren fünf Haltungen vorgesehen. Die erste sollte eine Länge von 1,5 km haben und von der Elbe aus die Döllnitzmündung nutzen (ungefähr der heutige Riesaer Hafen, das einzige Stück des Projektes, das verwirklicht worden ist).
Hier hätte ein Hebewerk die Lastkähne 20 m gehoben, die dann in die Kanalhaltung II einfahren konnten, die über Schönnewitz und Schmorkau bis nach Oschatz-Zschöllau eine Länge von 11,5 km haben sollte. Ein zweites Hebewerk war dafür vorgesehen, das Döllnitztal zu verlassen und die Haltung III zu erreichen., die nun 500 m Länge erhalten sollte. Mit dem dritten Hebewerk (ungefähr dort, wo heute das Glasseidenwerk Oschatz entstanden ist) wäre man zur Haupthaltung IV

 

gelangt, die mit 41,5 km den eigentlichen Kanal dastellen sollte. Hier war auch die Anlage des Oschatzer Hafens geplant. Die Kanalhaltung IV hätte nun Dahle und Kührener Bach nutzen können, um – sich südlich wendend – Burkhartshain zu erreichen und ungefähr 3½ Kilometer von Wurzen entfernt auf die Mulde zu treffen, die überquert werden sollte.. Altenbach, Borsdorf und Engelsdorf waren als nächste Orte gedacht, die der Kanal zu berühren hatte, um Nahe Mölkau die südlichen Vororte Leipzigs zu erreichen und an der heutigen Straße des 18. Oktobers zu enden. Kurz vorher sollte das vierte Hebewerk das Elster-Niveau durch einen Abstieg ausgleichen und die Haltung V dann schließlich mit 13,9 km Länge den Anschluss an den Leipziger Hafen schaffen. Damit hätte der Kanal eine Gesamtlänge von 68,7 km erreicht.

Über die Leistungsfähigkeit des Kanals wird im Projekt gesagt: „Diese hängt in der Hauptsache von der Leistungsfähigkeit seiner Schleusen und Hebewerke ab.“ Nimmt man an, dass für eine Hebung bis 30 Minuten erforderlich sind, so können bei 14stündigem Betrieb 28 Hebungen ausgeführt werden. Bei 270 Schiffahrtstagen und rund 600 Tonnen Tragfähigkeit der Schiffe könnten rund 4,5 Millionen Tonnen Güter befördert werden. Das ist eine Zahl, die unter den Bedingungen der Jahrhundertwende recht ansehnlich war., betrug doch der Gesamtgüterverkehr der Leipziger Bahnhöfe damals nur 2,5 Millionen Tonnen.
Auch die Frachtkosten hätten nur wenig mehr als die Hälfte der bei der Bahn üblichen Sätze ausgemacht. Möglicherweise wäre auch ein lebhafter Schiffsverkehr zwischen Oschatz und Wurzen zustande gekommen, der für beide Stadte Bedeutung bekommen hätte. Letztlich aber scheiterte das Projekt an den Baukosten, denn ohne die Leipziger Hafenanlagen hätten nicht weniger als 38 Millionen Goldmark investiert werden müssen. Diese brachten aber weder ein Privatkonsortium noch der Sächsische Staat auf. Somit blieb die Vorstellung, dass Oschatz und Wurzen Hafenstädte werden könnten, auf dem Reißbrett. Beide Stadte aber haben sich auch ohne Schifffahrtsweg wirtschaftçich stark entwickelt. Wie verlockend muss uns heute der Gedanke sein, auf einem Schiff der „Weißen Wurzener Flotte“ beispielsweise ein Wochenendausflug nach Berlin oder Prag zu unternehmen.

 


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