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und die Anatomie des Holunders

Ein Aufsatz von Dr. Manfred Schollmeyer, Oschatz 

 

Seit dem 23. Mai 2013 trägt eine Holunder-Neuzüchtung in Österreich den Namen „Blochwitz“. Die „Steirischen Beerenobstgenossenschaft eGen“ hatte mit der 2004 gegründeten „Holler-Vulkan GmbH“ und der Feldbacher Firma „Obstbau Christandl“, anlässlich der Eröffnung des Holunderschaugartens „Holunder-Wunderwelt“ der Familie Christandl, auf dem Kalvarienberg in Feldbach die Taufe der Neuzüchtung „Klon B2“ in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste vorgenommen.

Die 1962 gegründete „Beerenobstgenossenschaft“, die mit 700 Vertragsbauern und ca. 1500 ha über das weltweit größte Holunderanbaugebiet in der Steiermark verfügt, produziert und vermarktet jährlich fast 10.000 Tonnen Beerenobst, das sind 50 % der Weltproduktion bei Kulturholunder. Der schwarze Edelholunder der Sorte „Haschberg“ ist dabei die wichtigste Beerensorte. Aus ihm werden Edelbrände, Fruchtsäfte, Marmeladen und Sirup hergestellt. Vorrangig wird der rote Farbstoff des Holunders aber „als natürlicher Frucht- oder Farbextrakt, Muttersaft und Saftkonzentrat in vielen Bereichen der Lebensmittelindustrie eingesetzt“, so jedenfalls die Aussage der Beerenobstgenossenschaftler. Aufgrund seiner besonders in den letzten Jahrzehnten erforschten Inhaltsstoffe mit ihren antibakteriellen und antiviralen Wirkungen, schätzt ihn auch die Pharmaindustrie als Nahrungsergänzungs- und Heilmittel.

Holunderschaugarten „Holunder-Wunderwelt“ der „Obstbau Christandl“ auf dem Kalvarienberg bei Feldbach

Die „Beerenobstgenossenschaft“ und ihre Mitglieder pflegen seit Jahren eine intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Grazer Endokrinologen und Stressforscher Professor Dr. Sepp Porta zur Erforschung der Heilkraft des Holunders, was auch die Bemühungen um Neuzüchtungen einschließt. Bei seinen Recherchen zur Geschichte des Holunders stießen der Grazer Mediziner und seine Mitarbeiter auf die Namen „Blockwich“, „Blockwitz“, „Blochwich“ und „Blochwitz“ und auf Vorschlag der „Obstbau Christandl“ entschloss man sich, dem „Klon B2“ den Namen „Blockwitz“ zu geben. Zwangsläufig stellte sich natürlich die Frage nach der Herkunft und Bedeutung des neuen Namens.

Bei einem Deutschland-Urlaub im Sommer 2012 suchte Professor Dr. Porta auch unsere Stadt und die „Oschatz-Information“ mit der Frage nach einem Dr. Blockwitz auf. Leider aber erfolglos, denn der Name war bisher in Oschatz unbekannt. Professor Porta hinterließ jedoch das von ihm verfasste und sehr lesenswerte Buch „Holunder-Wunderwelt“ (ISBN 978-3-99052-014-7), das mir eher zufällig Monate später bekannt wurde. Die in diesem Buch niedergelegten Vermutungen zur Schreibweise des gesuchten Namen „Blockwitz“, seiner möglichen englischen oder sächsischen Herkunft und seiner Bedeutung für die Geschichte des Holunders konnte ich nach Recherchen in der Landesschule Pforta bei Naumburg (ehemals Fürstenschule Schulpforte), in den Universitätsarchiven von Leipzig und Basel und im Pfarramt der Oschatzer Aegidienkirche aufklären. Der Gesuchte war der deutsche Arzt Dr. med. Martin Blochwitz, der in Oschatz praktizierte und hier das weltweit erste Standardwerk über den Holunder schrieb. Aber wer war dieser Dr. Blochwitz?
 
Enthüllung der schwarzen Holunder-Neuzüchtung „Sambucus nigra Blochwitz“.Oben von links: Dipl.-Ing. Johannes Christandl, Prof. Dr. Sepp Porta, die Geschäftsführer Josef Hafnerund Stefan Lampl von der „Steirischen Beerenobstgenossenschaft“ und Dr. Manfred Schollmeyer.
Fotos: Sieglinde Schollmeyer

Dr. med. Martin Blochwitz (1602-1629) war ein praktischerArzt, der 1602 vermutlich in Großenhain geboren wurde. Er musste wohl einer sehr wohlhabenden Familie entstammen, denn nach den Grundschuljahren wurde Martin Blochwitz am 25. September 1616 in die Fürstenschule Schulpforte bei Naumburg an der Saale unter der Schüler-Nummer 2385 aufgenommen und erlangte hier 1622 die Hochschulreife. Anschließend, von 1622 bis 1626, studierte Martin Blochwitz erfolgreich Humanmedizin an der Universität Leipzig. Die Doktorwürde erhielt er am 04. Juli 1626 an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Danach kehrte er nach Deutschland zurück und ließ sich als in Oschatz nieder. Am 10. September 1629 starb Martin Blochwitz hier 27-jährig. Die Todesursache ist bisher nicht bekannt. In dieser Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) grassierte aber die Pest in Sachsen und möglicherweise war diese Infektionskrankheit auch die Ursache für den ungewöhnlich frühen Tod des jungen Arztes.

Die Oschatzer Jahre waren für Dr. Blochwitz eine sehr fruchtbare Zeit, schrieb er doch hier das erste umfassende Werk über die „Anatomia Sambuci“ - die „Anatomie des Holunders“ - das 2 Jahre nach seinem Tod vermutlich von einem Angehörigen der Familie, wahrscheinlich von seinem Bruder Johannes Blochwitz, in Leipzig 1631 in lateinischer Sprache veröffentlicht wurde. In diesem Buch beschreibt Blochwitz auf 298 Seiten in drei Abteilungen die alte Kulturpflanze. Die Botanik des Holunders mit Erläuterungen zur Herkunft des Namens, mit Ausführungen zu Standort, Wuchs und Eigenschaften führt er in der 1. Abteilung aus. Die Zubereitung von Holunderessig, Holunderkreide, Holundermus, Holunderöl, Holunderpillen, Holundersalben, Holundersäften, Holundersirup, Holunderspiritus, Holunderwasser, Holunderwein und Holunderzucker beschreibt er ausführlich in sechs Kapiteln mit der Angabe von Rezepturen in der 2. Abteilung des Werkes. Den größten Raum der Abhandlungen nimmt aber die 3. Abteilung mit 33 Kapiteln zur Behandlung häufig auftretender Erkrankungen ein. Rezepturen mit exakten Beschreibungen zur Herstellung von Medikamenten aus Holunderblüten, Holunderbeeren, Holundermark und Holunderrinde sowie zahlreiche Literaturhinweise zu den Ansichten prominenter Ärzte der Antike und des Mittelalters gaben den praktischen Ärzten in seiner Zeit Anleitungen zur „innerlichen“ und „äußerlichen“ Behandlung mit den verschiedensten Holunderpräparaten. So gibt Blochwitz Empfehlungen zur Therapie u.a. bei Brust- und Gebärmuttererkrankungen, Erfrierungen, Geschwulstleiden, Infektionskrankheiten, Lungen-, Magen-, Darm-, Milz- und Gallenerkrankungen, psychischen Erkrankungen, Schlaganfall und Lähmungen, Steinleiden, Schwindsucht, unklarem Fieber und Schmerzen, Vergiftungen, Verletzungen, Wurmbefall und Zahnschmerzen.

Titelseiten der 1626 in Basel erschienen Doktorarbeit und der 1631 in Leipzig erschienenen „Anatomia Sambuci“ – „Anatomie des Holunders“ – von Martin Blochwitz, Arzt in Oschatz. Repros: Dr. Manfred Schollmeyer

Dieses grundlegende Buch zum Holunder muss im ausgehenden Mittelalter wohl für erhebliches Aufsehen gesorgt haben. Die „Anatomia Sambuci“ von Dr. Martin Blochwitz wurde 1631, zwei Jahre nach seinem Tod, wahrscheinlich von seinem Bruder Johannes lochwitz in Leipzig in lateinischer Sprache veröffentlicht. Danach gelangte das Werk 1642 nach Königsberg in Ostpreußen und wurde von dem an der Königsberger Albertus-Universität lehrenden Mediziner und Universitätsprofessor Daniel Beckher der Ältere aus der lateinischen in die deutsche Sprache übersetzt und von ihm in seinem Buch, „Nützliche kleine Haus-Apotheke“ der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die Schrift erlebte nach 1642 noch weitere Auflagen 1650, 1665, 1685 und ist die einzige Übersetzung in die deutsche Sprache. 1650 erschien die "Anatomia Sambuci" in lateinischer Sprache in London, wurde 1651 von Christopher Irvine übersetzt und 1655, 1670, 1677 in englischer Sprache, auch auf Empfehlung der Royal Society, publiziert.
Der Weg des Werkes 1642 nach Königsberg und 1650 nach London und die damit verbundenen Übersetzungen erklären die unterschiedlichen Schreibweisen des Namens Blochwitz und so finden wir seine Spuren unter den Namen „Blockwich“, „Blockwitz“, „Blochwich“ und „Blochwitz“.

Weitere Würdigungen erhielten die „Anatomie des Holunders“ und ihr Verfasser in jüngster Zeit. Die „BerryPharma AG“ veröffentlichte 2010 eine neue englische Übersetzung der 1677 in London erschienen „Anatomie des Holunders“, die amerikanische „ProQuest-Company“ legte ebenfalls 2010 ein Reprint der „Anatomie des Holunders“ von 1677 vor, das sich im Original im Besitz der Bibliothek der Harvard-Universität befindet und Prof. Dr. Sepp Porta beschreibt in seiner 2012 erschienen „Holunder-Wunderwelt“ die Bedeutung der Blochwitzschen Erkenntnisse für die aktuelle Medizin.

Titelseiten der 2010 und 2012 erschienen englischsprachigen und deutschsprachigen Veröffentlichungen zur „Anatomie des Holunders“ und zur „Holunder-Wunderwelt“

Die mittelalterlichen Erkenntnisse von Martin Blochwitz, insbesondere über die medizinische Wirkung des Holunders, sind in den folgenden Jahrhunderten erweitert, korrigiert und mit wissenschaftlichen Methoden erforscht, verfeinert und belegt worden.

Die Taufe der neuen Holundersorte mit dem Namen „Blochwitz“ dokumentiert das wissenschaftliche Interesse der steirischen Holunderbauern an der Geschichte des Holunders, erinnert an den einst in Oschatz praktizierenden Arzt Dr. Martin Blochwitz sowie an sein Standardwerk „Die Anatomie des Holunders“ und ergänzt damit die Holundergeschichte um einen wichtigen historischen „Baustein“.

 


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