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Der gelernte Hutmacher begründete die Oschatzer Filzwaren-Industrie,
die einst Weltruf genoss.

Im „Blatt zum Heimatfest“ erschien 1906 ein Artikel über den Fabrikanten und sein Schaffen..


Die Filzwaren-Industrie,

die in Oschatz die in Oschatz zu hoher Blüte gelangt ist, wurde durch einen Hutmacher Ambrosius Marthaus begründet und sie hat sich derart entwickelt, dass heute die Oschatzer Filzwaren einen Weltruf genießen und sich weit über Deutschlands Grenzen hinaus ein Absatzgebiet erobert haben. Auch hier war der Anfang ein kleiner.
Ambrosius Marthaus, der im Jahre 1834 das väterliche Geschäft übernommen, hatte bald erkannt, das infolge der ungünstigen Zeitverhältnisse die Hutmacherei keinen besonderen Gewinn mehr versprach und bald nach Eröffnung des Geschäftes ging der erst Vierundzwanzigjährige, der in seinen Lehr- und Wanderjahren offenen Auges die Bedürfnisse der Zeit erkannt, zu der Verwirklichung einer damals neuartigen Idee, der Fabrikation von Filzschuhen und Haarfilztafeln über. Die eigenen Mittel waren nur gering, doch als er im Jahre 1838 mit den ersten Erzeugnissen seiner Fabrikation Berlin aufsuchte, und hier große Aufträge erhielt, wurde ihm von Seiten seiner Geschäftsfreunde auch die nötige Förderung zu teil. Man unterstützte, wie sein Sohn Kommerzienrat Ambrosius Marthaus in der Festschrift gelegentlich des fünfzigjährigen Bestehens der Firma erzählt, den jungen Anfänger durch wöchentliche Übersendung der nötigen Quantität Wolle und der Arbeitslöhne und ermöglichte es ihm so, die Aufträge auszuführen. Damit war der Grundstein zur Entwicklung des Geschäftes gelegt. Am 19. Oktober 1838 konnte Ambrosius Marthaus das bisher gemietete Grundstück Hospitalgasse 372, in dem er seine Fabrikation betrieb, käuflich übernehmen, nachdem er schon vorher zur Fabrikation von Satteldecken, aus den früher von ihm hergestellten Filztafeln übergegangen war. Der große Brand am 7. September 1842 brachte einen Rückschlag. Das Marthaus'sche Grundstück und ein großer Teil der Vorräte wurde ein Raub der Flammen und da der junge Fabrikant eine Versicherung, die beabsichtigt war, noch nicht abgeschlossen war, verlor er nahezu alles, was er besaß. Aber er ließ den Mut nicht sinken. Mit den geringen Resten der geretteten Vorräte und Waren, die ihm seine Mutter, die das väterliche Geschäft in der Strehlaer Straße weiter führte, überlassen hatte, ging er zur Michaelismesse nach Leipzig und trotz der ungünstigen Konjunktur vermochte er gut abzuschließen, da ihm ein Unbekannter, der von dem großen Brandunglück in Oschatz gehört, seine ganze Ware zu günstigem Preise abnahm und er auch namentlich auf Satteldecken große Bestellungen erhielt. Nachkurzer provisorischer Unterbringung der Fabrik in zum Teil gemieteten Räumen, konnte er – obwohl unter Übernahme einer großen Schuldenlast – im Jahre 1843 mit dem Neubau der Fabrik, die nun auch zweckentsprechender eingerichtet wurde, beginnen.
Hierbei mag ein Vorfall Erwähnung finden, der das damalige Zunftwesen treffen charakterisiert. Die Schuhmacherinnung, die doch früher an die Herstellung von Filzschuhen nicht gedacht hatte, erinnerte sich jetzt, als sie sah, daß das Marthaus'sche Fabrikat guten Absatz fand, dass Marthaus nicht Schuhmacher war und daß infolgedessen seine Fabrikation ein Eingriff in die Gerechtsame der Innung darstellte. Sie suchte im Prozesswege gegen Marthaus ein Verbot der Herstellung genähter Filzschuhe zu erwirken. Aber das gelang nicht. Der Prozess wurde von Marthaus gewonnen und man musste der neuen Industrie die Entwicklungsfreiheit gönnen. Die Vergrößerung des Satteldeckengeschäfts brachte es mit sich, daß der Fabrikation auch eine Färberei und Druckerei angegliedert wurde. Die Industrie der Filzschuhfabrikation gewann in den Jahren von 1852-1877 eine solche Ausdehnung, daß sich daraus eine blühende Hausindustrie entwickelte, in welcher in Oschatz, Dahlen, Mügeln und Strehla, ja sogar in dem preußischen Städtchen Mühlberg eine große Anzahl von Arbeitern lohnenden Verdienst fand, während in der Sattel-

deckenfabrikation 25 Jahre in Waldheim eine Anzahl Sträflinge durch die Firma Marthaus beschäftigt wurden. Im Kriegsjahr 1866 wurde das Grundstück in der Breitenstraße, auf dem jetzt die großen Anlagen der Filzfabrik sich befinden, zum Teil erworben und bebaut und die Fabrikation dorthin verlegt. Und nachdem am 31. Oktober 1869 der am 6. Dezember 1842 geborene Sohn des Begründers der gleichfalls den Namen Ambrosius Marthaus führte, die Leitung des Geschäftes für eigene Rechnung übernommen, nahm dasselbe einen solchen Aufschwung, dass bereits im Jahre 1872 und weiter 1877 neue Erweiterungen der Fabrikräume nötig waren. 1872 wurde durch Zukauf angrenzender Grundstücke der nötige Raum geschaffen. 1877 erwarb Ambrosius Marthaus die inzwischen in Liquidation befindliche Aktienspinnerei an der Promenade. Daneben hielt die Ausstattung mit Maschinen zum Teil eigener Erfindung gleichen Schritt. Der Gründer des Geschäftes, den unser Bild zeigt, wie er noch in der Erinnerung manchen alten Oschatzers lebt, hat den letzten Erwerb nicht mehr erlebt. Er stab am 26. Februar 1875 im Alter von 67 Jahren. Im Jahre 1879 trat als Teilhaber des Besitzers, dessen Bruder Hugo Marthaus in das Geschäft ein.
Wenige Jahre vor seinem Tode im Jahre 1888 wurde dem Sohne des Gründers der Industrie der Kommerzienratstitel verliehen und damit vom Staate die Bedeutung der Filzwarenindustrie anerkannt, die beim Tode des Kommerzienrats am 15. November 1890 gefestigt dastand. Hugo Marthaus, der bisherige Teilhaber blieb nun bis zu seinem Tode am 10. Oktober 1893 Leiter des Unternehmens, worauf das Gesamtunternehmen in den alleinigen Besitz der Frau Kommerzienrat Marthaus und deren Kinder überging. Heute wird es durch die beiden ältesten Söhne des Kommerzienrats Marthaus, Ambrosius und Rudolf, geleitet, von denen ersterer der Filz- und Satteldecken-Abteilung, letzterer der Schuh-Abteilung vorsteht. Ihnen stehen zur Seite ältere Beamte der Firma, unter denen als kaufmännischer Leiter Prokurist Nollain und als technischer Direktor Stadtverordneter Polster seit 24 Jahren dem Unternehmen ihre Dienste widmen. Hergestellt werden in der Filz- und Satteldecken-Abteilung Satteldecken, Sattelfilze, Schuh-, Mechanik- und Pianofortefilze und Filze für andere technische Zwecke; in der Schuhabteilung werden außer Filzschuhen, Filzstiefel, feine Filzjagdstiefel, Promenaden-, Hausschuhe und Pantoffel gefertigt und namentlich natürlich ebenso die Kombinationen von Filz und Leder und schließlich auch leichte Lederschuhe in den Kreis der Fabrikate aufgenommen da durch eine solche Erweiterung des Produktionsgebietes die rationellere Ausnützung der vorhandenen Arbeitskräfte ermöglicht und der Absatz erleichtert wurde. Welche enorme Arbeitsleistung in den beiden Betrieben den Maschinen zufällt, erhellt daraus, daß 3 Dampfmaschinen mit 170 indicierten Pferdekräften und 5 Kessel mit 460qm Heizfläche nötig sind, um die Maschinen zu treiben. Doch wird dadurch nur eben ein Teil der Arbeit verrichtet, und neben den Maschinen beschäftigt heute die Fabrik in beiden Betrieben 352 Arbeiter in der Fabrik selbst und 155 in der Hausindustrie. Ferner noch 26 Beamte, davon in der Filzfabrikation selbst, in der im letzten Jahre über 9000 Zentner an Wolle, meist deutscher Herkunft, verarbeitet wurde, 15 Beamte und 262 Arbeiter und in der Schuhfabrikation, die wöchentlich ca. 9000 Paar Schuhe resp. Stiefel (monatlich ca. 3000 Dtzd.) herstellt, 11 Beamte und 245 Arbeiter. Die Fabrikate beider Abteilungen gehen heute in die ganze Welt hinaus. Der Kowboy in Argentinien reitet ebenso wie der Cubanische Pflanzer und australische Schafhirt auf den Satteldecken, die in Oschatz hergestellt sind, und der südafrikanische Bur, wie der russische Gutsherr und der amerikanische Pelzjäger tragen Marthaus'sche Filzstiefel. Und wenn heute die Einkäufer aus fernen Ländern das Welthaus besuchen, wer von ihnen weiß, daß der Gründer ein schlichter Handwerker war, der seine Zeit verstand?

 


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